Teil 1

Das System des Kaufverhaltens

Wie entstehen Kaufentscheidungen? Und wie können wir diese und die Psychologie dahinter besser greifen, verstehen und in der Marketing-Praxis nutzen? Mit dem nachfolgenden Beispiel möchte ich Sie einladen, gemeinsam mit Lea und ihren Großeltern auf lebhafte Weise in das System des Kaufverhaltens einzutauchen.

Sehr wahrscheinlich werden Sie beim Lesen denken ‘klar!’. Doch darum geht es: Erkennen wir, was vermeintlich offensichtlich ist? Und wenn nein, weshalb nicht? Unabhängig von Ihrer Ausrichtung, Ihrem Angebot und Ihrer Zielgruppe: Häufig liegt in solcher Einfachheit die Magie. Die Marketing-Ansätze und auch die Stolpersteine stecken im Detail.


Das Abendprogramm.

Es ist Freitagabend, irgendwo am Rande von Erfurt. Die zwölfjährige Lea ist über das Wochenende wieder zu Gast bei Oma Birgit und Opa Klaus. Im TV-Abendprogramm läuft diese Trampolin-Show. Lea ist wie besessen davon.

Obwohl Oma diese Show bisher nicht kannte: Richtig begeistert ist sie nicht. Insgeheim wünscht sie sich, dass Lea öfter zu Besuch kommt, sie gemeinsam etwas spielen und die Zeit miteinander verbringen. Und jetzt wieder Fernsehen. Aber lieber so als gar nicht. Und Lea ist schließlich begeistert und mag es.

“Gut, eine Stunde. Und dann geht’s ins Bett.”

So verbringen Lea und ihre Großeltern noch eine Weile mit der Trampolin-Show. Lea schwärmt davon, einige Kunststückchen auf dem Trampolin einzustudieren und möchte später auch einen Parcours bewältigen können. So fit und gut aussehend möchte sie auch einmal sein. Im Internet hat sie nebenbei schon einige der Kandidaten aus dem Fernsehen wiedergefunden, aber das behält sie lieber für sich.

Bei Oma kommen derweil Erinnerungen an ihre Jugend auf:

“Damals, als wir noch jung waren… Ich habe es geliebt und war auch gar nicht so schlecht. Turnen konnte ich gut.”

berichtet Oma ganz stolz.

Am Ende schauen die drei dann doch etwas länger als geplant, bis Oma und Opa in einer Werbepause die Gelegenheit ergreifen und Lea liebevoll zu Bett bringen.

Sind wir Großeltern in einem Jahr auch noch “in”?

Später sitzen Birgit und Klaus zu zweit noch etwas im Wohnzimmer. Nun lässt Birgit ihren Sorgen freien Lauf: Das Wissen, dass Lea langsam größer wird, beschäftigt sie: Immer wieder die quälende Frage, ob Oma und Opa dann noch ‘in’ sind oder bald andere Dinge interessanter sein werden.

Opa Klaus ist natürlich auch immer ganz verliebt, wenn er seine Enkelin sieht: Strahlende Augen. Dennoch sieht er die Sache etwas gelassener. ‘So ist wohl der Lauf der Dinge’, denkt er sich. Doch noch größer ist das Herz für die Familie, seine Frau und seine Enkelin. Klar sucht er eine Lösung. Da ist er gleich ganz in seinem Element. Schließlich weiß er, wie sehr es auch seine Tochter und den Schwiegersohn entlastet, wenn sie manchmal für ein paar Stunden den Rücken frei und Zeit für sich haben.

Opa hat eine Idee:

“Wie wäre es, wenn wir selbst solch ein Trampolin kaufen? Ein richtig großes. Hinten im Garten auf der Wiese wäre doch der perfekte Platz.”

Noch einmal jung sein.

Birgit stellt es sich sofort lebhaft vor, mit Lea zusammen eine Runde zu hüpfen. Alleine würde sie sich wahrscheinlich nicht dazu überwinden. Aber wenn die Enkelin da ist, ist alles erlaubt. Da darf auch die Oma nochmal Kind sein und es genießen.

Klaus sieht vor seinem inneren Auge schon seine Frau hüpfen – so wie er sie damals aus Schulzeiten in Erinnerung hat. So lange kennen sie sich schon, obwohl sie erst später wirklich ein Paar geworden sind. Aber ein Auge hatten sie schon immer irgendwie füreinander.

Schnell sind sich beide einig, dass ein Trampolin – natürlich auch streng objektiv betrachtet – eine sinnvolle Entscheidung ist: Trampolinspringen ist gut für den Körper, die Beweglichkeit und Koordination. Und etwas mehr Zeit im Freien zu verbringen, ist wirklich eine gute Sache.

Die Kaufentscheidung ist gefallen: Opa kauft ein Trampolin.

Am Montag soll es gleich losgehen. Die Jungen würden es wahrscheinlich im Internet bestellen. Doch die haben sowieso wieder anderes um die Ohren. Oma und Opa haben ja Zeit und machen es lieber klassisch.

  • “Baumarkt oder lieber Sportgeschäft?”,
  • “Brauchen wir da einen Anhänger?”,
  • “Wo können wir parken?” und
  • “Wie ist das Wetter am Montag?”

…sind die Fragen, die Opa gleich umtriebig beschäftigen. Im Kopf ist er aber schon dabei, das gute Stück auf heldenhafte Weise aufzubauen.

Doch wo kaufen? Klaus denkt etwas mehr an den Baumarkt, denn dort ließe sich das Paket mit dem Wagen bis zu Auto rollen. So tut er es immer, wenn er Dinge für den Garten kauft. Außerdem hat er dort schon ein Trampolin gesehen und weiß sofort, wohin er muss.

Aber Birgit ist etwas skeptisch.
Schließlich ist ein Trampolin ein Sportgerät. Sicher soll es schon sein. Sie tendiert lieber zu einer guten Beratung im Fachgeschäft, Auswahl und Qualität. Nichts würde sie sich mehr vorwerfen als wenn wegen mangelhafter Qualität und fehlendem Schutz noch etwas passiert. Der Sportmarkt wird bestimmt auch liefern und aufbauen.

“Der Verkäufer wird uns schon helfen und eine Lösung für den Transport haben. Die verkaufen dort bestimmt nicht zum ersten Mal ein Trampolin.

…und Du mit Deinem Rücken solltest ohnehin etwas aufpassen, Schatz!”

Opa Klaus scherzt noch herum, dass sein Spaten aus dem Baumarkt auch ein Sportgerät sei, gibt sich aber geschlagen: Der Sportmarkt ist nun die erste Wahl, und vielleicht liefern lassen. Aber aufbauen wird er selbst. Daran beißt die Maus keinen Faden ab. Und die Hauptsache: Lea kommt mit, gleich nach der Schule.

Wieder Großeltern als Kunden

Im Sportmarkt angekommen dauert es nicht lange, bis ein Trampolin und ein freundlicher Verkäufer gefunden sind.

Der junge Tom, den Lea gleich ins Herz geschlossen hat, zeigt das Ausstellungsstück und berät über die Alternativen. Das Sortiment ist inzwischen recht beträchtlich. Seitdem Trampolin-Shows im TV zu sehen sind ist die Nachfrage deutlich gewachsen. Inzwischen sind immer einige Pakete auf Lager.

Doch was Tom verwundert: In seinen Schulungen war er doch für ganz andere Zielgruppen gebrieft worden. Nun sind es gar nicht so oft die jungen athletischen Sportler, sondern überwiegend Eltern oder Großeltern, die mit ihren Schützlingen einen Trampolin für den Garten suchen. Wahrscheinlich ist bei ihnen doch mehr Platz vorhanden und das Geld sitzt häufig auch etwas lockerer, wenn es um die lieben Kinder oder Enkel geht.

Wäre das bekannt gewesen, hätten die Marketing-Strategie und auch das interne Schulungsprogramm etwas anders und besser ausgerichtet werden können. (…)

So weit möchte ich es mit der “Story” zunächst bewenden lassen und mit Ihnen beispielhaft in die Zielgruppenanalyse eintauchen.


Die systemische Zielgruppenanalyse im Marketing

Überraschende Marketing-Erkenntnis: Von der Kundenstruktur überrascht.

Kaufentscheidungen sind häufig in komplexe soziale Systeme eingebettet – egal ob im privaten Umfeld oder unter Unternehmen. Die Bedürfnisstrukturen dahinter sind meistens vielschichtig.

Glaubt man zunächst, dass ein Trampolin als Sportgerät vordergründig der körperlichen Ertüchtigung dient und der Nutzen recht klar ist, zeigt das Beispiel die Mannigfaltigkeit der Einflüsse,

  • was konsumiert wird,
  • warum und aus welcher Motivation konsumiert wird,
  • von wem konsumiert wird
  • wo, wie und wann…

Die konsequente Berücksichtigung derartiger sozialer Systeme ist dabei die Grundlage einer zielgerichteten und umfassenden Positionierung, einer wirksamen Vertriebs- und Marketingstrategie sowie der daraus abgeleiteten Maßnahmen und Aktivitäten.

Die Methode des systemischen Arbeitens ermöglicht es, diese Zusammenhänge zu erschließen und daraus gewonnene Erkenntnisse für die unternehmerische Arbeit praktisch nutzbar zu machen.

1.) Identifikation der Zielgruppe und Beteiligten

Das Beispiel zeigt, dass mögliche Zielgruppen einerseits sehr unterschiedlich sein können und andererseits häufig weit mehr Personen und Faktoren maßgeblich am Entscheidungsverhalten beteiligt sind als auf den ersten Blick sichtbar.

In der Fallstudie habe ich es noch einfach gehalten: Neben Lea, den Großeltern und dem medialen Einfluss, werden in der Realität wahrscheinlich auch die Eltern noch ein Wörtchen mitreden. Auch mögliche Konstellationen im sozialen Umfeld werden das Gesamtbild komplettieren. Das können Leas Freundinnen und Freunde sein oder auch die Nachbarn der Großeltern.

Natürlich sind Großeltern, welche aus der geschilderten Situation heraus ein Trampolin erwerben, nicht die einzige Zielgruppe. Doch sie sind eine mögliche und vielleicht auch eine interessante.

Systemische Arbeit ermöglicht es in der Identifikationsphase:

  1. attraktive Zielgruppen und Märkte herauszuarbeiten,
  2. am Entscheidungsprozess typischerweise beteiligte Personen zu benennen,
  3. bedeutsame äußere Faktoren und indirekte Einflüsse auszumachen und
  4. im weiteren Vorgehen deutlich mehr Anknüpfungspunkte und Handlungsoptionen zu finden.

Werden in diesem Schritt wichtige Zielgruppen, Beteiligte oder Einflüsse nicht erkannt, kann dies in weiteren Schritten zu deutlichen Fehleinschätzungen und möglicherweise wirkungslosen Marketing-Aktivitäten führen. Im einfachsten Fall werden interessante Zielgruppen schlichtweg übersehen.

Professionelle systemische Arbeit im Marketing-Kontext strebt hier zunächst nach Vollständigkeit. Das ist auch die Grundlage, um unkonventionelle Wege, neue Märkte oder alternative Vorgehensweisen erkennen zu können.

2.) Zielgruppenanalyse: Die Kunden-Konstellation.

Im zweiten Schritt geht es nun darum, die Beteiligten und auch mögliche andere Einflüsse in ihrem Zusammenspiel zu beleuchten. Diese “Konstellation” wird in der systemischen Welt häufig mit einer Aufstellungsarbeit abgebildet und aus Sicht aller Beteiligten analysiert.

Eine Aufstellungsarbeit beschäftigt sich mit den Fragen,

  • wie Personen und Einflüsse zueinander stehen,
  • wie sich diese gegenseitig wahrnehmen und aufeinander einwirken,
  • welche Verhaltens- und Entscheidungsmuster sich aus deren Interaktion ergeben,
  • welche Wünsche, Erwartungen und Überzeugungen das Verhalten
    (bewusst und auch unbewusst) beeinflussen und
  • wie Produkte, Leistungen, (Marketing-)Maßnahmen und Positionierung des Unternehmers mit diesem System interagieren können.

Das im Beispiel geschilderte Familiensystem beschreibt dieses Zusammenspiel und ermöglicht es, die Bestandteile modellartig einzeln zu beleuchten.

Interventionen: Experimentell herangehen zeigt die Potenziale und Hindernisse.

Im professionellen Coaching-Prozess wird hierfür eine große Bandbreite sogenannter Interventionen eingesetzt. Diese beleuchten das Verhalten der Kunden als auch des Unternehmers im Gesamtsystem. Auch subtile Hintergründe von Kaufentscheidungen erwachen facettenreich zum Leben.

Auf experimentelle Weise wird nicht nur sachlich, sondern auch emotional spürbar, was (oder wer) in welchem Maße zum Kauf bewegt oder diesen möglicherweise auch verhindert (Blockaden).

Wichtige Erkenntnisse für das Marketing werden greifbar.

In der Fallstudie ist beispielsweise der Großvater geneigt, den Trampolin im Baumarkt zu kaufen. Seine Ortskenntnis, die Gewohnheit und möglicherweise auch eine Portion Bequemlichkeit hätten die Kaufentscheidung beinahe zu Ungunsten des Sportgeschäftes ausfallen lassen. Erst Birgit stimmt ihn durch ihren Kenntnisstand und ihren Präferenzen um (z.B. Sicherheit, Beratung und Qualität).

In der Fallstudie gibt es also bei den Beteiligten bereits im Vorfeld ein implizites Informations- und Aufklärungserfordernis, welches für den Sportmarkt von essenzieller Bedeutung sein könnte. Wird dieses durch die Marketing-Aktivitäten nicht ausreichend und zielgerichtet bedient, landet ein gewisser Anteil potenzieller Kunden möglicherweise woanders.

Ähnliches gilt für den nötigen Platz, um einen Trampolin aufstellen zu können. Das Bewusstsein darüber hilft beispielsweise, relevante Zielgruppen besser eingrenzen und diese zu erreichen. So banal es klingen mag: In der Praxis führt fehlende Sensibilität für derartige Aspekte häufig dazu, dass nach dem Gießkannen-Prinzip gänzlich falsche Zielgruppen angesprochen und vielleicht sogar unnötig verärgert werden.

Sie werden beim genaueren Lesen im Text noch zahlreiche andere Einflussgrößen erkennen, die dabei helfen können, den Erfolg positiv zu beeinflussen oder Misserfolge zu vermeiden. Diese sind immer spezifisch abhängig vom Geschäftsmodell und der Zielgruppe. Der richtige Umgang damit ermöglicht es auch, Alleinstellungsmerkmale zu finden und die Abgrenzung im Wettbewerb zu schärfen. Nicht selten sind es kleine Stellschrauben mit großer Wirkung, welche hier zu Aha-Erlebnissen im Marketing führen.

3.) Erkenntnisse sortieren und Handlungsoptionen erarbeiten.

Im Rahmen der durchgeführten systemischen Analyse der Zielgruppe ist nun ein ganzer Strauß an Erkenntnissen entstanden, von welchen einige exemplarisch genannt wurden. Daraus resultieren vielfältige Anknüpfungspunkte für das Marketing. Gleichermaßen werden in der Praxis neben der abgebildeten Zielgruppe “Enkel-Großeltern” noch zahlreiche andere Zielgruppen erkannt und beleuchtet.

Handlungsoptionen für den Sportmarkt könnten beispielsweise sein:

  • Sicherstellen einer bedarfsgerechten Beratung und entsprechende Sensibilisierung des Verkaufspersonals für die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe,
  • aktives Anbieten von Liefermöglichkeiten,
  • Aufklärungsarbeit bezüglich Sicherheit und Qualität,
  • regionale Werbung in Gegenden, in denen die relevante Zielgruppe (in dem Fall Großeltern!) zu hause ist oder verkehrt,
  • eventuelles Nutzen von Printmedien oder
  • implizites Ansprechen der tieferen Bedürfnisse, z.B. Kontakt zu Enkeln über Bildauswahl.

…um nur einige wenige Marketing-Optionen zu nennen.

Da sich aus einer systemische Arbeit sehr detaillierte Informationen über die Zielgruppe herauskristallisieren, ergeben sich nahezu intuitiv ein entsprechend breites Spektrum an Ansatzpunkten.

Der Vorteil für kleinere und mittlere Unternehmen besteht darin, dass das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden automatisch geschärft wird. Das große Bild, welches über die Story und das System mitgeliefert wird, entfaltet bereits aus sich heraus eine Wirkung: Bewusstsein und Klarheit.

Das bedeutet, Sie werden ganz bestimmt anders durch den Alltag gehen und Ihr Augenmerk auf andere Dinge und Menschen richten, auf andere Weise ins Gespräch finden, über andere Dinge sprechen, andere Fragen stellen und Begegnungen aus dem gewonnenen Bewusstsein heraus anders anders gestalten.

Bereits bis hierher wird sehr deutlich, wie wichtig die detaillierte Auseinandersetzung mit den Kaufentscheidungen Ihrer Kunden ist: Wie gelangen sie diese dazu, was bewegt sie oder was hindert sie?

Dies gilt gänzlich unabhängig davon, ob sie es wie in der Fallstudie mit Privatkunden zu tun haben oder einem Unternehmen, in welchem Führungskräfte, Mitarbeiter, Wettbewerber oder Kunden oder sogar der Partner der Chefin oder die Partnerin des Chefs zu Entscheidungen beitragen könnten.

Der Weg zur Kaufentscheidung und deren Umsetzung wird dabei über die sogenannte ‘Customer Journey’ beschrieben. Die Einbettung in das gesamte soziale System (die sogenannte Konstellation) wird mittels Aufstellungs- und systemischer Arbeit am besten erlebbar. Beides zusammen und deren Analyse führt dann zu spezifischen Handlungsoptionen, deren Bewertung und Auswahl (4.) sowie der anschließenden Definition konkreter Maßnahmen (5.). Hierzu folgt ein gesonderter Beitrag (Teil 2)

Coaching-Pakete zum Thema:
Clever analysieren und weiterdenken.
Kaufentscheidungen, Kundenanalyse & Vertriebswege

Opa kauft ein Trampolin.

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